Dienstag, 21. August 2012

Das Schweigen der Blätter

Die Leser der meisten deutschen Medien werden systematisch an der Nase herumgeführt - kritischer Journalismus ist nicht mehr gefragt -von Evelyn Hecht-Galinski

Die Nahostberichterstattung der deutschen Medien hat sich in den vergangenen Jahren in erschreckender Weise weiter verschlechtert. Vor wenigen Jahren noch wurden unliebsame Tatsachen schlicht und einfach unter den Teppich gekehrt – heute findet das Nahostthema so gut wie gar nicht mehr statt.



Sind es nicht die Palästinenser, Araber und Muslime die immer penetranter in die terroristische Ecke gedrängt werden? Natürlich im Gegensatz zu den armen Israelis, die sich gegen böse Bedrohung schützen müssen. Israels Streitkräfte sind also eine »Verteidigungsarmee« – Palästinenser meist bewaffnete Terroristen. Die palästinensische Hamas und die libanesische Hisbollah bekommen automatisch das Etikett »radikalislamisch« aufgeklebt, und die Besetzung des Palästinenserlandes durch Israel gilt in unseren Medien lediglich als »umstritten«.

Mit Sprachregelungen dieser Art werden Begriffe besetzt und Meinungen in den Köpfen verankert. Israel ist ein Meister in der Erfindung von blumigen Wortschöpfungen, um seine das Völker- und das Menschenrecht verachtende Politik zu verkaufen und mediengerecht in Szene zu setzen. Weicht eine deutsche Redaktion davon ab, treten sofort die Helfer der israelischen Propaganda in Aktion: Umgehend gibt es Einspruch vom Zentralrat der Juden oder gleich von der Botschaft.

Um die Berichterstattung von vornherein Israel-freundlich einzustimmen, lieben es die jeweiligen Botschafter, vorwiegend die Chefredakteure in exklusiven und vertrauten »Hintergrundgesprächen« aufzuklären und ihnen eine besonders »einfühlsame« Berichterstattung ans Herz zu legen. Und so sehen die Berichte dann häufig auch aus: So mancher Nahostkorrespondent mutiert unter dem Druck seiner Chefs vom Journalisten zum Propaganda-Sprachrohr, das die Vorgaben aus Tel Aviv ohne jeden kritischen Ansatz umsetzt.


Es wird immer schlimmer …

Diese Art der Berichterstattung hat sich in den vergangenen Jahren weiter verschlimmert – sie wirkt nachhaltig auf die Einstellung der »normalen Bevölkerung« ein. Jedes Verständnis, jede Empathie für die Menschen in Palästina wird zugedröhnt, die öffentliche Meinung wird auf diese Weise buchstäblich gesteuert. Viel zu viele unserer Mitbürger glauben das Märchen von dem kleinen jüdischen Staat Israel, der von allen Seiten bedroht ist. Eine glatte Lüge, denn dieser Staat wurde durch die USA und Deutschland zu einer der schlagkräftigsten Militärmächte aufgerüstet. Zu einer Atommacht, die immer noch mit der Opferrolle kokettiert; zu einer autoritären und rassistischen Gesellschaft, die unsere Medien als »einzige Demokratie im Nahen Osten« lobpreisen; zu einem Staat, der mit US-amerikanischer und deutscher Hilfe all seine Nachbarn bedroht.

Israel hat den Palästinensern seit seiner Gründung mit Vertreibung und Landraub die Lebensgrundlagen entzogen – unter den Augen der Weltgemeinschaft! Wir Deutschen machen uns schuldig, wenn wir diese Tatsachen ignorieren und Israel so weitermachen lassen wie bisher. Indirekt sind auch die Palästinenser Opfer des Holocaust! Gerade wir Deutsche sollten uns dieser Verantwortung mehr denn je bewußt sein.

Wenn Bundeskanzlerin Angela Merkel die deutsche »Staatsräson« als Garant für die Sicherheit Israels reklamiert, mißbraucht sie meiner Meinung nach das Grundgesetz. Aus dieser fatalen Zusicherung ergeben sich nämlich Verpflichtungen, die unserer Verfassung entgegenstehen. Deutschland würde damit in Haftung genommen, falls Israel einen »Erstschlag« gegen den Iran führt oder meint, in Syrien oder sonstwo intervenieren zu müssen. Will unsere Regierung aus diesem Grunde vorsorglich bewaffnete Drohnen anschaffen?


Ohne kritischen Ansatz

Sehr viele deutsche Medien haben jeden kritischen Ansatz vergessen, sie übernehmen teilweise sogar die Aufgaben des Bundespresseamtes. Warum äußern sich inzwischen fast alle deutschen Politiker über die Bild-Zeitung, wenn sie sich mitteilen wollen? Kann sich der Bürger unter solchen Umständen noch eine mehr oder weniger objektive Meinung bilden?

Fast alle deutschen Medienkonzerne wie Springer, Bertelsmann, Holtzbrinck, Neven Dumont und Burda haben braune Flecken auf der Weste – ist das der Grund, warum sie Israel vorbehalt- und kritiklos unterstützen? Daß es für Israel am einfachsten ist, mit diesen »belasteten« Leuten umzugehen, hat der frühere Vorsitzende des Jüdischen Weltkongresses, Nahum Goldmann, schon 1967 festgestellt.

Warum wird in der Berichterstattung ausgeklammert, daß es von Anfang an zur Strategie Israels gehörte, durch militärische und terroristische Aktionen kriegerische Auseinandersetzungen mit arabischen Staaten zu provozieren? Nachlesen kann man das in den Tagebüchern von Mosche Scharett, der von 1954 bis 1955 Außenminister unter Ben Gurion war. Diese Strategie gilt auch heute noch, allerdings verfeinert und perfektioniert.

Nicht nur in der Nahostpolitik, sondern auch beim Thema Syrien werden die deutschen Zeitungsleser und Fernsehzuschauer an der Nase herumgeführt. Die Frage wird gar nicht erst gestellt, wie es dazu kommen konnte, daß ein angeblich zusammengewürfelter Oppositionshaufen ein militärisch gut gerüstetes Land mit einem Bürgerkrieg überziehen kann. Die junge Welt schrieb schon vor einem Jahr, daß der Krieg in Syrien von den USA, Israel und sunnitischen Fundamentalisten angezettelt wurde.

Eine der wenigen Korrespondenten, die sich tatsächlich in Syrien aufhalten, ist Karin Leukefeld, die auch für jW schreibt. Warum aber wird sie von den deutschen Sendern totgeschwiegen? Ich mußte erst das Schweizer Fernsehen einschalten, um einen Bericht von ihr sehen zu können. Sie hat weit mehr zu bieten als die sogenannten Experten, die in deutschen Blättern und Talkshows ihr angebliches Fachwissen zum besten geben.

Aufgabe der Medien kann es auf gar keinen Fall sein, politische Vorgänge und Entwicklungen ganz oder teilweise zu verschweigen. Sie müssen vielmehr möglichst objektiv berichten – unter Berücksichtigung der Geschichte. Mündige Bürger brauchen weder Denkhilfen noch Meinungsvorgaben, noch Geschwätz über »Staatsräson« – wenn sie die Fakten kennen, bilden sie sich schon ihre eigene Meinung. Das allerdings wird in Europas Partyhauptstadt Berlin immer schwieriger, in der die Bande zwischen Politik und Medien immer stärker werden. (E. Hecht-Galinski)





Den Artikel finden Sie bei junge Welt Medienbeilage v. 15.08.2012 http://www.jungewelt.de/beilage/art/2904

(c) Junge Welt

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