Mittwoch, 27. Juli 2016

Interview mit dem geostrategischen Analysten William Engdahl über den Machtkampf in der Türkei und dessen Auswirkungen auf Europa

Am Abend des 15. Juli verkündete eine Gruppe türkischer Armeeoffiziere, sie habe einen Staatsstreich durchgeführt und die Kontrolle über das Land übernommen. Erdoğan befinde sich auf der Flucht und renne um sein Leben, während sie dabei seien, die Ordnung wiederherzustellen, erklärten die Offiziere weiter. Die ganze Sache hatte nur einen Haken für diese Armeeoffiziere und ihre Förderer, die weit weg in Langley, Virginia, und in Saylorsburg, Pennsylvania, saßen (dort versteckt sich der türkische Polit-Manipulator Fethullah Gülen unter dem Schutz der CIA): Die Aktion war ein Fehlschlag. Hinter dem gescheiterten Putschversuch läuft eine noch viel dramatischere Geschichte ab. Nachfolgend eine Reihe von Fragen und Antworten an den amerikanischen Buchautor und geostrategischen Analysten William Engdahl zum Hintergrund der dramatischen Ereignisse und ihren Auswirkungen auf die geopolitische Lage.



‪#‎Frage‬: Waren die Ereignisse von Freitag auf Samstag absehbar? Hätte man damit rechnen können, dass die Armee einen Umsturz versucht?

‪#‎Antwort‬: Der Putschversuch war eine Reaktion auf die dramatische geopolitische Kehrtwende, die Erdoğan gerade vornimmt. Angefacht wurde sie von CIA-treuen Netzwerken in der Türkei. Es handelt sich ganz offensichtlich um ein verzweifeltes und schlecht vorbereitetes Unterfangen.

#Frage: Was sind Ihrer Meinung nach die wahren Gründe, die die Armee zu einem derartigen Schritt bewegt haben?

#Antwort: Es handelt sich um ein Armee-internes Netzwerk von Anhängern der Bewegung Fethullah Gülens. Gülen ist ein Agent, der zu 100 Prozent von der CIA gesteuert wird. Er lebt sogar seit Jahren in Saylorsburg in Pennsylvania im Exil, nachdem ihm ehemalige CIA-Spitzenleute wie Graham Fuller und der ehemalige US-Botschafter in Ankara eine sichere Ausreise und eine Green Card beschafften.
Gülen ist Teil eines seit Jahrzehnten laufenden, durchgeknallten Projekts der CIA, den politischen Islam als Waffe für Regierungswechsel zu nutzen. Erinnern wir uns an 2013, damals gab es in Istanbul und anderswo Massenproteste gegen Erdoğan. Gülen, der vorher mit Erdoğans AKP ein Abkommen getroffen hatte, scherte damals aus und kritisierte in von ihm kontrollierten Medien wie Zaman Erdoğan als Tyrannen. Seit damals arbeitet Erdoğan daran, seinen gefährlichsten internen Konkurrenten Gülen und dessen freunde auszurotten. Dazu greift er auch zu Mitteln wie Polizeidurchsuchungen bei Zaman und anderen von Gülen kontrollierten Medien. Es geht hier nicht um einen Kampf zwischen einem Weißen Ritter und einem Schwarzen Ritter. Es ist ein nackter Machtkampf in der türkischen Politik. Wenn Sie die Einzelheiten zum Gülen-CIA-Projekt interessieren, empfehle ich Ihnen mein Buch «Amerikas heiliger Krieg».

#Frage: Teilen Sie die Einschätzung einiger Beobachter, dass die Ereignisse in der Türkei in einen Bürgerkrieg münden könnten?

#Antwort: Das bezweifele ich. Erdoğan und sein Geheimdienstchef haben den Einfluss der Gülen-Bewegung in den vergangenen zwei Jahren stark beschneiden können, durch Säuberungsaktionen und so weiter. Und die traditionelle »Atatürk-Armee« als Wächter des Staates gehört längst der Vergangenheit an, seit den 1980er-Jahren.

Es wird jetzt interessant sein, Erdoğans Außenpolitik zu verfolgen: eine Wiederannäherung an Russland und eine Wiederaufnahme der Gespräche mit Russland zur Erdgaspipeline Turkstream, die an die griechische Grenze verlaufen soll. Gleichzeitig eine Wiederannäherung Erdoğans an Netanjahu. Und vor allem ist Erdoğan offenbar auf die Bedingungen eingegangen, die Putin für eine Wiederaufnahme der Beziehungen gestellt hat: Die Türkei soll ihre Bemühungen, Assad zu stürzen, einstellen und nicht länger heimlich den IS oder andere Terroristen in Syrien unterstützen, sie in der Türkei ausbilden und ihr Öl auf dem Schwarzmarkt verkaufen. Für Obama – möglicherweise den inkompetentesten Präsidenten in der amerikanischen Geschichte. (und das, obwohl er mit George W. Bush und Clinton ernsthafte Konkurrenz hatte) – ist das geopolitisch eine schwere Niederlage.

#Frage: Hätte Erdoğan Ihrer Meinung nach tatsächlich auf diese Weise gestürzt werden können?

#Antwort: Sehr unwahrscheinlich. Bereits in den ersten Stunden, als Erdoğan gegenüber den Medien erklären konnte, dass Gülen hinter dem Putschversuch steckt, war ich von einem Scheitern Gülens überzeugt. Jetzt steht die CIA da wie die Doofen und Obama und die NATO versuchen, darüber hinwegzutäuschen, indem sie dem »demokratisch gewählten Erdoğan« ihre Unterstützung aussprechen. Dass im Februar 2014 Wiktor Janukowytsch der »demokratisch gewählte Präsident« der Ukraine war, hat sie auch nicht gestört, als die CIA auf dem Maidan ihren Umsturz durchführte. Und was für ein Durcheinander hat Washington da mit seinen Bemühungen angerichtet, einen Keil zwischen Russland und die EU zu treiben.

#Frage: Wie sehen Sie die Vereinigten Staaten und Russland mit Blick auf die jüngsten Ereignisse?

#Antwort: Aus meinen Äußerungen ist ja klar zu entnehmen, dass Washington hinter dem Staatsstreich steckt. Es war Amerikas ohnmächtige Reaktion auf die massive geopolitische Verlagerung, die seit Juni stattfindet. Damals entließ Erdoğan Ahmet Davutoğlu als Ministerpräsidenten und ernannte seinen Getreuen Binali Yιldιrιm zu dessen Nachfolger. Damals wandte sich Erdoğan gleichzeitig von der Anti-Assad Strategie Washingtons in Syrien ab und in Richtung Israel (das in geopolitischen Fragen derzeit einer dezidiert anderen Meinung als Washington ist), hin zu Russland und jetzt sogar hin zu Assad in Syrien.

#Frage: Wie wirkt es sich auf die Entwicklungen aus, dass die Türkei Mitglied der NATO ist?

#Antwort: Das ist schwer abzuschätzen. Für seine globale Strategie benötigt Washington die Türkei unbedingt, vor allem, wenn es darum geht, die Ölströme des Nahen Ostens und jetzt auch sein Erdgas zu kontrollieren. Deshalb haben sich Obama und Konsorten auch beeilt, ihren »Freund« Erdoğan schnellstmöglich zu »umarmen«, sobald klar war, dass der Putsch scheitern würde. Das nennt man Schadensbegrenzung.

#Frage: Wie werden sich die Ereignisse in der Türkei auf die Europäische Union auswirken?

#Antwort: Das Projekt EU ist dabei, zu scheitern. Es war stets eine monströse Idee und wurde in den 1950er-Jahren von Churchill, der jungen CIA und ihren europäischen Freunden wie Monnet vorangetrieben, damit die USA Europa besser kontrollieren können. Das zeigte sich auch wieder, als Präsident Obama sich erdreistete, sich in die britische Innenpolitik einzumischen, und die Briten anwies, nicht die EU zu verlassen. Die Europäische Union ist ein gesichtsloses bürokratisches Monster, bei dem nicht gewählte und niemandem Rechenschaft schuldige Gestalten von oben herab regieren. Und das Ganze in Brüssel in direkter Nachbarschaft zum NATO-Hauptquartier.
Der Brexit hat den Auflösungsprozess angeschoben, jetzt wird es meiner Meinung nach rasch gehen. Der nächste wird vielleicht Ungarn sein, wenn es der CIA nicht gelingt, vor der für Oktober geplanten Volksabstimmung zum »Huexit« Orbán in einer Farben-Revolution zu stürzen. Frankreich?

Die Anhänger von Marine Le Pen und Millionen weiterer Franzosen sind es leid, sich alles von Brüssel diktieren lassen zu müssen. Man nehme nur die jüngste kriminelle Entscheidung: Obwohl es Berge an wissenschaftlichen Beweisen gibt, dass Glyphosat, das am häufigsten innerhalb der EU verwendete Unkrautvernichtungsmittel, krebserregend ist, werden alle Gesundheits- und Sicherheitsbedenken ignoriert, sogar die von EU-Regierungen. Stattdessen lässt man vorsätzlich zu, dass die Nahrungsmittel und die Menschen weitere 18 Monate lang vergiftet werden. So von ihren Staatsdienern behandelt zu werden, haben die Menschen in Europa (und auch nirgendwo sonst) nicht verdient.

#Frage: Wie werden sich die Ereignisse in der Türkei auf die Flüchtlingskrise auswirken?

Gehen Sie davon aus, dass die Balkanroute für Flüchtlinge wieder geöffnet wird?

#Antwort: Das lässt sich noch nicht sagen. Wenn sich Erdoğan und Assad, auf Vermittlung von Putins Russland und vielleicht einiger Mitwirkung Israels hin, auf einen echten Frieden in Syrien verständigen können, könnte der Flüchtlingsstrom aus dem Kriegsgebiet versiegen. Die Menschen wollen nach Hause zurückkehren und sich ihr Leben in ihrem eigenen Land neu aufbauen.


http://info.kopp-verlag.de

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen